Filmkritik: Luft zum Atmen
Die DKP München / Gruppe Olga Benario zeigte am 10.07.19 den Film „Luft zum Atmen – 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum“. Die gut besuchte Veranstaltung gab im Anschluss Gelegenheit für eine rege Diskussion über die Aufgaben
kommunistischer Betriebsarbeit. Die Teilnehmer sahen eine lebendig montierte Dokumentation, die im Wechsel von Interviews, selbstgedrehten
Originalaufnahmen und eingespielten Mitschnitten aus Fernsehsendungen den Kampf der Belegschaft von Opel Bochum von 1972 bis zur Werksschließung im Jahre 2014 zeigte. Der Film ist nicht nur ein zeitgeschichtliches Dokument der Kämpfe im seinerzeit größten Opel-Werk in Europa, sondern ein Beispiel für mediale „Gegengeschichtsschreibung“. Seit Beginn der Fertigung im Jahre 1962 liefen in Bochum über 13 Millionen Fahrzeuge vom Band. Im Zuge der von den Kapitaleignern seit den 90er Jahren verfolgten Politik der
„Standortsicherung“ wurden durch die Produktionsverlagerung in vorwiegend ausländische Standorte von den über 20.000 Arbeitsplätzen mehr als 18.000 abgebaut bis 2014 die Restbelegschaft nach Hause geschickt wurde. Der Film zeigt dabei anschaulich die Logik des Kapitals, die die ArbeiterInnen vor die vermeintliche Alternative stellt:
Standortschließung oder „Standortsicherung“ bei gleichzeitigem Arbeitsplatzabbau gepaart mit Lohnverzicht und Ausbau der Schichtarbeit. Ziel ist stets die Erhöhung der Produktivitätsrate. Während sich die Gewerkschaftsführung im Betrieb hierzu passiv und duldsam verhielt, ja sogar versuchte, die Maßnahmen der Kapitalseite der Belegschaft als notwendiges Übel zu verkaufen, setzten die Vertrauensmänner und Betriebsräte der 1972 gegründeten „Gruppe oppositioneller Gewerkschafter“ (GoG) ihre aktive Betriebsarbeit dagegen.
Sie organisierten im mühevollen tagtäglichen Kampf den Widerstand. Frühzeitige Information der Belegschaft über geplante Maßnahmen des Kapitals, Umgestaltung der Betriebsversammlungen zu einem Podium der Arbeiterinteressen, Organisation praktischer internationaler Solidarität durch Werksbesuche in ausländischen Standorten, eine eigenständige Bildungsarbeit – all das stand auf der Agenda. Die örtliche IG-Metallführung sah dem nicht tatenlos zu und reagierte auf Basis der Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit dem Rauswurf vieler kämpferischer Arbeiter, die sich in den Auseinandersetzungen mit der Kapitalseite exponiert hatten, aus der IG Metall.
Das Jahr 2004, als über eine Woche die Produktion des Werkes durch einen „wilden“ Streik zum Erliegen kam, stellt sicherlich einen der Höhepunkte des Filmes dar. Zugleich markiert er die schmerzlichste Niederlage des Kampfes der Opelaner. Die Gewerkschaftsführung im Betrieb setzte eine Betriebsversammlung an, in der über ein Ende des Streiks und stattdessen weitere Gespräche mit der Geschäftsleitung abgestimmt werden sollte. Die Lage für die Kapitalisten war bedrohlich geworden: Aufgrund der fehlenden Zulieferteile aus Bochum, hatten die Opel-Werke in Rüsselsheim und Antwerpen bereits die Produktion eingestellt, der Produktionstopp in den Werken in Liverpool und Kaiserslautern stand unmittelbar bevor. Die Betriebsversammlung war das letzte Mittel der Gewerkschaftsführung den „Betriebsfrieden“ wieder herzustellen. Und die Taktik der Überrumplung hatte Erfolg: von 6463 ArbeiterInnen stimmten 4647 für die Aufnahme von Gesprächen mit der Geschäftsleitung und das Ende des Streiks.
Selbstkritisch stellen die Mitglieder der GoG im Film fest, dass sie in der buchstäblichen letzten Sekunde des Kampfes nichts mehr entgegensetzen konnten, um das Blatt noch zu wenden. Wie die Gespräche mit der Geschäftsleitung verliefen, ist hinlänglich bekannt: Das Opel Werk wurde nach Entlassung der Restbelegschaft 2014 endgültig geschlossen. Der noch erkämpfte Sozialplan konnte lediglich als letzter kleiner Erfolg gewertet werden.
Gleichwohl macht der Film Mut, da er deutlich macht, wie durch ernst genommene betriebliche Gewerkschaftsarbeit der Kampf gegen das Kapital organisiert werden kann. Er ist aber auch beredtes Beispiel dafür, dass jeder betriebliche Kampf für Arbeiterinteressen stets in die Frage mündet, wer tatsächlich über die Produktionsmittel verfügt.