Bericht vom Filmabend zum Massaker im Gewerkschaftshaus Odessa

Dieses Jahr fand in München ein Filmabend von DKP und SDAJ statt, um dem faschistischen Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa vom 2. Mai 2014 zu gedenken. Wir dokumentieren die Einleitung und den Film:

Vor 10 Jahren, am 3. Mai 2014, flüchteten Aktivisten des sogenannten Anti-Maidan im ukrainischen Odessa in das Gewerkschaftshaus vor einem rechten Mob von Maidan-Anhängern. Das Haus wurde angezündet, mindestens 38, eher 50 Menschen, verbrannten oder wurden totgeschlagen, als sie fliehen wollten.

Noch an dem Tag „wusste die Tagesschau-Korrespondentin Golineh Atai sofort, wer daran die Schuld trug: ‚Prorussische Anhänger – Aktivisten – Demonstranten sind mit Bussen weitgehend in die Stadt (Odessa) gekommen und haben mit Waffen, mit Schlagstöcken, mit Molotow-Cocktails die Menge angegriffen.’ Das konnte sie erkennen, obwohl sie zur Zeit der Morde in Donezk war, rund 700 Kilometer von Odessa entfernt“  (so Gellermann/Klinkhammer/Bräutigam in Die Macht um acht, S. 29 f.).


Wir wollen uns heute damit auseinandersetzen was damals passiert ist und welche Bedeutung der 2. Mai 2014 für die Ukraine und den jetzt tobenden Krieg hat. Denn der positiv auf EU und NATO ausgerichteten Putsch gegen die ukrainische Regierung im Jahr 2014 startete den Krieg in der Ukraine.

Als Gegenprotest zum Kiewer “Maidan”, welcher vom terroristischen “Rechten Sektor” dominiert wurde, protestierten Menschen in Odessa auf dem “Anti-Maidan” vor dem lokalen Gewerkschaftshaus. Am 2. Mai wurden ihr Camp angegriffen und die ins dahinter liegende Gewerkschaftshaus fliehenden Aktivisten totgeschlagen und verbrannt. Nach Augenzeugenberichten hatte es weit mehr als 100 Opfer gegeben.

Die ukrainischen Behörden ermittelten allein gegen „prorussische“ Demonstranten und wurden dafür mehrfach wegen mangelnder Ergebnisse von internationalen Institutionen wie dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte kritisiert, doch verurteilt wurde niemand.

Der damalige Gouverneur von Odessa, Wladimir Nemirowski, erklärte im Geiste der neuen Machthaber in Kiew: „Die Aktionen der Einwohner von Odessa zur Neutralisierung und Festnahme bewaffneter Terroristen sind als rechtmäßig anzusehen.”.


Die deutsche Bundesregierung, die den Rechten Sektor und Swoboda unterstütze, übernahm diese Erzählung. Staatsminister Michael Roth antwortete am 21. Mai 2014 auf eine kleine Anfrage im Bundestag an die Bundesregierung zum Massaker:

„Sie wissen sicher auch, dass für die Bundesregierung Bundesaußenminister Steinmeier in Kiew und in Odessa am 14. Mai 2014 mit der ukrainischen Regierung und den regionalen Behörden über die tragischen Ereignisse gesprochen hat. Er hat noch einmal die große Bedeutung unterstrichen, die die Bundesregierung der vollständigen Aufklärung der Ereignisse beimisst.“

Damit konfrontiert, dass der damalige Gouverneur der Region die Morde als Legitim bezeichnet hat, bekräftigt er:

„Wir haben derzeit keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass diese Untersuchungskommission ihrer Aufgabe gerecht werden wird.“


Seitdem sind zehn Jahre vergangen und das Geschehende vergessen gemacht worden. Noch 2015 berichtete der SPIEGEL unter der Überschrift “Die Schande von Odessa”:

"Die Tragödie liegt anderthalb Jahre zurück. Die Aufarbeitung aber kommt kaum voran. Nun stellt der Europarat der Ukraine ein vernichtendes Urteil aus. Es sei "kein substanzieller Fortschritt bei den Untersuchungen gemacht worden", heißt es in einem am Mittwoch in Kiew vorgestellten Bericht . Den Behörden mangele es an der "notwendigen Gründlichkeit und Sorgfalt". Beweise gingen verloren, weil die Straßenreinigung sie am nächsten Tag einfach wegräumte. Die Ruine des Gewerkschaftshauses wurde erst nach Tagen abgesperrt.
Bis heute gibt es zwar mehrere Verfahren wegen der Straßenschlachten, aber nicht eine Anklage wegen des Angriffs auf das Gewerkschaftshaus. Der einzige Verdächtige wurde laufen gelassen, aus Mangel an Beweisen.
Dabei war die Bestialität gut dokumentiert. Einige proukrainische Demonstranten bemühten sich zwar, Menschen aus dem brennenden Haus zu bergen. Zahlreiche Handyvideos zeigen aber auch Angreifer, die weiter Jagd machten. Auf einer Aufnahme ist ein Mann zu sehen, der über eine Feuerleiter floh. Als er den Boden erreichte, setzten ihm Schläger zu. Er kletterte zurück ins brennende Haus. Ein anderes Video zeigt Menschen, die aus Fenstern sprangen. Viele bleiben verletzt auf dem Asphalt liegen. Dort waren sie einem Mann ausgeliefert, der mit einem Baseballschläger auf sie eindrosch."

Auf dem Blog Legal Tribune Online berichtet der an den Internationalen Strafgerichtshof abgeordnete baden-württembergische Staatsanwalt Dr. Eike Fesefeldt:

Die Untätigkeit beziehungsweise die überaus dürftigen “Ermittlungen” der Strafverfolgungsbehörden ist inzwischen mehrfach von verschiedenen zwischenstaatlichen und internationalen Organisationen als parteiisch und nicht zufriedenstellend kritisiert worden.

So stellte bereits Ende 2015 das “International Advisory Panel” des Europarats in einem fast 100seitigen Bericht fest, dass die Ermittlungen weder unabhängig noch effizient waren. Das Mandat dieser Ermittlungsmission war extra verlängert worden, um zu prüfen, ob die Untersuchungen in Odessa den Anforderungen von Art. 2 EMRK entsprachen. Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden waren. Die Ermittlungen der ukrainischen Regierung blieben hinter den europäischen Standards zurück. Insbesondere bemängelte der Ausschuss, dass bis Juli 2014 noch keine Tatortbegehung der Polizei erfolgt war und nicht geklärt wurde, wieso diese weitgehend passiv blieb, anstatt die tätlichen Auseinandersetzungen zu verhindern.

2016 beanstandete das “Human Rights Office” der UN, dass die ukrainischen Behörden nur Ermittlungen gegen pro-russische Aktivisten eingeleitet hatten. Die Ermittlungen waren von systemischen institutionellen Mängeln betroffen und durch Verfahrensunregelmäßigkeiten gekennzeichnet, die darauf hindeuteten, dass die Behörden gar nicht gewillt waren, die Verantwortlichen wirklich zu ermitteln und strafrechtlich zu verfolgen.

2018 berichtete der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dass es auch weiterhin kaum Fortschritte gab. Die hierfür eingesetzte “United Nations Human Rights Monitoring Mission” veröffentlichte zum Jahrestag der Tragödie 2019 einen Bericht. Erneut war für die Vereinten Nationen ein mangelndes echtes Interesse der Behörden an der Sachverhaltsaufklärung unverkennbar.


2019 jährte sich das Massaker zum fünften Mal, wir haben in diesen Räumen den Überlebenden Oleg Muzyka begrüßt. Er berichtete von seinem Erleben, ihr könnt es in seinem Buch nachlesen. Damals schrieben wir unserer Veranstaltungsankündigung:

„Die rechtsradikal-nationalistischen Kräfte beherrschen den Staatsapparat und dienen der Unterdrückung jeglicher Opposition – mit der festen Unterstützung von EU und Nato. Denn die Mehrheit insbesondere im Osten und Süden wünscht sich den Ausgleich mit Russland. Darum wurde Selensky gewählt. Doch wird er den erhofften Wandel bringen?“

Wie es weiter ging wissen wir heute. Mit den Massakern am 2. Mai in Odessa und am 9. Mai 2014 in Mariupol entfaltete das Kiewer Regime seine faschistischen Terroraktionen gegen die russisch-sprachigen Teile der Ukraine.

Noch im selben Jahr begann der bewaffnete Krieg gegen die eigene Bevölkerung im Donbass und ein Jahr später wurde die Kommunistische Partei KPU verboten. Seit zehn Jahren herrscht Krieg in der Ukraine.


Die deutsche Bundesregierung hat das Minsk-II-Abkommen nach eigenen Angaben zur Aufrüstung der Ukraine genutzt und der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall fährt die höchsten Gewinne jemals ein.

Im Jahr 2020 wurden politische Ankündigungen verbunden mit konkreten Vorbereitungen für eine militärische Rückeroberung des Donbass eingeleitet, Truppen verlegt und der Beschuss intensiviert. Die RF zog ihre Truppen nördlich der Ukraine im verbündeten Belarus zusammen und konfrontiere die NATO-Führungsmacht USA öffentlich mit der Forderung nach Sicherheitsgarantien.  

Dazu gehörte der Verzicht auf eine fortgesetzte NATO-Osterweiterung und auf US-Militärstützpunkte in Staaten der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre sowie der Abzug ausländischer Soldaten aus allen Ländern, die bis 1997 nicht Teil des Verteidigungsbündnisses waren. Moskau hatte im Dezember Entwürfe für zwei Abkommen vorgelegt. Die USA und ihre NATO-Verbündeten antworteten Ende Januar ablehnend. Auf der Kundgebung gegen die NATO-Kriegskonferenz warnten wir vor der offensichtlichen Kriegseskalation und sprachen uns für Verhandlungen mit Russland aus.

In Russland gelang es der KPRF angesichts der Intensivierung der Angriffe auf den Donbass die Anerkennung der Republiken zu erwirken, am nächsten Tag griffen russische Truppen die Westukraine an und verteidigten die Menschen im Donbass.

All diese Ereignisse folgen auf Maidan und Anti-Maidan. Wir wollen deswegen mit diesem Filmabend an die Ereignisse erinnern – statt vergessen. 2015 und 2016 Kundgebungen vor dem Gewerkschaftshaus.

2022 wurde der Marktplatz von Karlshorst in Berlin vom dortigen Linksparte-Bürgermeister in Odessa-Platz umbenannt. Er erwähnte das Massaker mit keinem Wort. Der Protest, den u.a. die DKP organisierte, wurde von Antifaschisten, auch aus der Linkspartei, unterstützt.

Bevor wir mit dem Film starten, zitieren wir noch zwei Freunde zu dem Thema:


  1. R. Lauterbach:

Die Erinnerung an die Vorfälle des 2. Mai 2014 ist in Odessa nach wie vor lebendig. Regelmäßig zum Jahrestag wird der Platz vor dem Gewerkschaftshaus für Besucher gesperrt, damit niemand dort etwa Blumen ablegen kann. Noch 2021 gab es eine lokale Debatte, weil ein Stadtrat vorgeschlagen hatte, auf dem Platz eine Gedenkwand für die Opfer des Pogroms aufzustellen. Die Partei von Expräsident Petro Poroschenko erregte sich aus diesem Anlass über den »Versuch, antiukrainische Separatisten zu ehren« und warnte davor, dass sich Odessa von der Ukraine abspalten könnte. Angeblich ist in der Hafenstadt ein »prorussischer Untergrund« tätig, der sich Sabotageakte gegen Einrichtungen der militärischen Infrastruktur zuschreibt. Die letzte Mitteilung von dieser Seite stammt vom Mittwoch morgen: Russland habe mehrere Raketen auf das am selben Platz gelegene Stabsgebäude der ukrainischen Heeresgruppe Süd abgefeuert.


  • J. Lloyd: Zur Funktion des Faschismus im Ukraine-Krieg

Faschismus war in der Geschichte der Ukraine als gefährlicher Machtfaktor wiederholt von Bedeutung. Das gilt auch heute, beachtet man den Einfluss, den Faschisten – aufgerüstet mit westlichen Waffen – auf die dortige Staatsführung haben.

Welche Bedeutung hat der Faschismus im gegenwärtigen Krieg in der Ukraine? Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Frage erfordert es, den Funktionszusammenhang zwischen Faschismus und Krieg zu erkennen und in klare Begriffe zu fassen. Andernfalls bleibt der Versuch, die Entwicklungen zu verstehen, ein hilfloses Unterfangen, und Fehleinschätzungen sind die Folge.

Der Politikwissenschaftler Reinhard Opitz hat in einem 1974 veröffentlichten Aufsatz darauf hingewiesen, dass das Monopolkapital genau dann seine Macht in faschistischen Formen ausübt, wenn es sich entscheidet, »im Interesse der kompromisslosen Durchsetzung seiner Maximalinteressen« zu handeln, deren Natur dergestalt ist, dass sie die rigorose gewaltsame Ausschaltung aller Widerstände erforderlich macht.

Die Untersuchung, wie die ausschlaggebenden Maximalinteressen im Ukraine-Krieg beschaffen sind und inwieweit deren kompromisslose Durchsetzung es für den Imperialismus des »Wertewesten« erforderlich macht, den Griff zum Faschismus zu wagen, öffnet den Blick auf den Funktionszusammenhang zwischen Faschismus und Krieg.

Erst auf Basis der Erkenntnisse, die sie liefert, wird es möglich, folgende Fragen qualifiziert zu beantworten: Ist Faschismus lediglich eine unangenehme Begleiterscheinung des gegenwärtigen Kriegs? Oder hat er Macht? Und wenn ja – welche? Wer ist der Träger und wer hat sie bestellt?

Große Teile der antifaschistischen Bewegung und des Friedenslagers haben die Anwendung der Analysewerkzeuge der historisch-materialistischen Faschismusforschung verlernt oder sie gleich gänzlich aus der Hand gegeben. Ihre selbst verschuldete Hilflosigkeit führt zum Stochern im Nebel und hat gravierende Konsequenzen: So bleibt die Weigerung westlicher Politiker und Journalisten, Faschisten als solche zu erkennen – selbst wenn diese, Nazi-Symbole tragend, vor ihnen stehen –, vielfach unwidersprochen.

Und sich links wähnende Aktivisten mobilisieren mit vermeintlich antifaschistischem Impetus gegen die Friedensbewegung, finden ihren Platz in einer Einheitsfront mit NATO-Propagandisten und polemisieren mit einem falschen, die Geschichte verdrehenden Bild von »Querfront« gegen politisch richtige Orientierungen. (…)

Video: Roses have thorns, Pt. 6