100 Jahre Hitler-Putsch

Der bayerische Gefreite in Lederhase und Schwarzhemd

Bayern war schon mal der Anfang / Schwarzweißrat, Weißblau und Braun / Der Aufstieg des bayerischen Gefreiten

Die Münchner Räterepublik war nieder­geschlagen, der bestialische Weiße Terror gegen die aufständischen Arbeiter konnte als Vorgriff auf die Hitlerbarbarei gelten. Die kurze demokratische Anwand­lung nach 1918 in großen Teilen des Klein­bürgertums schlug in Angst um. Es lief zur Konterrevolution über, als sich die Weißen näherten. Kaum rückten die Freikorps in München ein, vollzog sich die Wende um 180 Grad. Aus diesem Kleinbürgertum werden später die Nazis ihre Anhänger­schaft rekrutieren.

Im Reich war 1920 der monarchistische Kapp-Putsch am entschlossenen Wider­stand der Arbeiter gescheitert. Anders in Bayern. Gustav Ritter von Kahr, Monar­chist und Mitglied der Bayerischen Volkspartei (BVP) verjagt mit Hilfe der Einwoh­nerwehren die Regierung Hoffmann (SPD). Dieser bayerische Putsch wird, obwohl offen antirepublikanisch, von der Reichs­regierung geduldet.

Nach Bayern zogen sich die Kapp­ Putschisten zurück. Aus ihrer Terrororga­nisation, die unter dem Schutz Kahrs und des Münchner Polizeipräsidenten Pöhner stand, gingen die Mörder der Zentrumspo­litiker Erzberger und Rathenau hervor. Unter Kahrs Schirmherrschaft wurde der Begriff “Ordnungszelle im Reich” geprägt. Unter seiner Regierung sammelten sich in München all jene Personen, Geheim­bünde und Parteien, die sich den Sturz der jungen deutschen Republik zum Ziel ge­setzt hatten. Daher rührt der Name „Haupt­stadt der Bewegung”, den Hitler München später, 1936, verpassen wird.

Alle Mittel waren recht, bis zum politischen Mord. Hier wurde schon lange vor 1933 geprobt, was im Hitlerfaschismus Staatssystem wurde und die Völker Euro­pas mit Krieg und Terror überzog. Die Reaktion formierte sich in Bayern in drei Flügeln. Diese hatten ihre jeweiligen paramilitärischen Verbände, die sich entweder gegenseitig bekriegten oder, ging es gegen die „Judenrepublik”, sich verbün­deten. Kahrs Plan war, Bayern zu einer Bastion zum Sturz der Reichsregierung auszubauen.

Die Spitzenorganisation aller deutschna­tionalen und vaterländischen Verbände war die ORGESCH (“Organisation Esche­rich” nach dem gleichnamigen Forstmeis­ter) mit ihren Einwohnerwehren, die aus den Freikorps hervorgegangen waren. Sie horteten die Waffen der verbotenen Reichswehr. Auf sie vor allem stützte sich Kahr. Seine Schaukelpolitik sollte auch die Weißblauen gefügig machen, ihnen rief er zu: “Es lebe König Ruprecht!” Sie waren den Wittelsbachern verbunden, waren ultraföderalistisch, lehnten die Weimarer Verfassung ab und hatten in der BVP ihre Partei.

Die dritte Kraft wuchs aus der Thule­ Gesellschaft, deren arbeiterfeindlichen Umtriebe aus der Rätezeit bekannt sind. Aus ihr gingen zahlreiche NSDAP-Karrie­risten wie Hess, Frank, Fiehler und Rosen­berg hervor. Ihre Zentrale war im Hotel “Vier Jahreszeiten”. Ihr Symbol – das Hakenkreuz. Um die „vaterländisch ge­sinnten Arbeiter” zu sammeln, wurde von den Thulen der Schlossermeister Drexler vorgeschickt, die „Deutsche Arbeiterpar­tei” (DAP) zu gründen.

Im September 1919 stößt zum Kreis der DAP ein V-Mann der Reichswehr mit dem Auftrag, diese Partei auf Vordermann zu bringen: Adolf Hitler.

Durch sein fanatisch antisemitisches Auftreten in diesem Haufen von verhetzten Kleinbürgern, Studenten und Soldaten kann er sich zum „Führer” aufschwingen. Im Februar 1920 setzt er die Umbenennung in „NSDAP” durch, die nach wenigen Monaten 2.500 Mitglieder hat. Ihre ,,Sturmabteilung” (SA) besteht hauptsächlich aus versprengten Freikorpsleuten, die seit 1918 abenteuernd herumziehen.

Münchner Besitzbürger wie der Verleger Bruckmann, der Pianohersteller Bechstein und die Zirkusfamilie Krone finanzierten als erste Hitler und machten ihn salonfähig. Sie irrten jedoch in der Annahme, ihr Zögling werde die Arbeiter von ihren “marxistischen Verführern” loslösen. Hit­lers hat später seinen Hass auf die Arbei­terklasse in “Mein Kampf” unmissverständ­lich festgehalten. Sein Programm passte vielmehr auf die Erfahrungen des Münch­ner Kleinbürgertums mit der Revolution: Antisemitismus in Verbindung mit Anti­kommunismus und kleinbürgerlich-anti­kapitalistischer Demagogie (z.B. das Begriffsmonster “jüdisch-bolschewisti­sches Weltkapital”).

Der bayerische Gefreite aus Österreich begann seinen Aufstieg gerade in München, dem traditionellen Nährboden für groß­ deutsche und paneuropäische Ideen, wie die Wittelsbacher sie schon hegten. Er verband die ultraföderalistische antipreu­ßische Ideologie mit dem Anspruch, “preußischer als die Preußen” zu sein.

Der Hitler-Putsch vom 9. November 1923 sollte die „nationale Diktatur” von München aus ins Reich tragen. Der “Marsch auf die Feldherrnhalle” scheiterte kläglich in der Residenzstraße. Kahr, der von dem aussichtslosen Unternehmen zurückgetreten war, galt nun als Verräter. Hitler dagegen begründete durch den Gerichtsprozess wegen Hochverrats und durch kurze Festungshaft seine außerbaye­rische Karriere. Seine Partei konnte sich nach 1925 über das ganze Reich ausbreiten.

Die Kohle- und Stahlbarone erkannten bald, was sie an Hitlers faschistischer Bewegung hatten. Ab 1931 füllten sich die Kassen der NSDAP aus den Zuwendungen des Monopolkapitals. Anfang 1933 über­ trugen dessen reaktionärsten, am meisten imperialistischen Kräfte die Macht an Hitler – mit den bekannten Folgen.

krn | Artikel aus AufDraht Oktober 2023