Erschwinglicher Wohnbau – ein Zipfelchen Utopie ist sichtbar

Foto: AufDraht

In München steht beim Harras in Sendling diese Infotafel vor einer Großbaustelle.

Wer sich zum Lesen kurz Zeit nimmt erfährt erstaunliche Dinge. Während wir tagtäglich das Gejammere über stagnie­renden Wohnungsbau hören, und sogar die Stadtverwaltung dafür verantwortlich ge­macht wird (siehe Kasten), werden hier fast 200 Mietwohnungen gebaut. Noch erstaunlicher ist, dass davon ein Viertel geförderte Wohnungen entstehen, die Mieten also erschwinglich werden. Und noch­ mal erstaunlicher ist der Bau eines Kinder­gartens daneben. Wo hat man dies bei Bauinvestoren jemals erlebt? Hier am Harras kann sich aber kein privater Inves­tor die Taschen vollstopfen, sondern Bau­herr ist die städtische Wohnbaugesellschaft GWG. Diese ist verpflichtet, ihre Gewinne für die Erhaltung und den Neubau von Wohnungen zu verwenden.

Wer 10 Minuten Richtung Innenstadt weitergeht, bis zur Alramstrasse, stößt auf eine weitere Infotafel. Sie steht vor einer riesigen Baugrube, die nun seit Jahren vor sich hinstinkt (das „Sendlinger Loch”, siehe AufDraht vom12. September 2023). Die Tafel verspricht keinen Kindergarten, dafür Wohnungen vom Feinsten mit “hochwertiger Ausstattung sowie umfang­reichem Nutzungs- und Dienstleistungskonzept”. Das ist z.B. ein abgesperrter Eingangsbereich, damit nicht jeder Daher­ gelaufene das vornehme Gebäude betreten kann. Allerdings sind die Anwohner und der Bezirksausschuss Sendling der Mei­nung, dass sie kein Luxusgebäude mit Eingangskontrolle brauchen, sondern normale Wohnungen. Die Anwohner haben deswegen diesen Sommer am Loch protestiert und Vorschläge gemacht, wie das Loch doch noch zum Wohnen ge­braucht werden könnte. Der ernsthafteste ist der einstimmige und wiederholte Antrag des Bezirksausschuss an die Stadt, das Grundstück zu kaufen. Dann könnte es von den städtischen Baugesellschaften GWG und Gewofag bebaut werden wie am Harras, mit Kindergarten.


Was ist SOBON?

Da die Infrastruktur in München immer mehr dem enormen Wachstum der Stadt hinterherhinkt, fordert die Stadt von den Bauherrn, dass sie sich in gewissem Umfang an lebenswichtigen Einrichtungen beteiligen. Wer Wohnungen für Familien baut, muss eben auch an Kindergarten und Grundschule denken. Die städtische Vorschrift dazu heisst „Sozialgerechte Bodennutzung” (SOBON). Logisch dass die Interessenvertreter von Bauinvestoren dagegen Sturm laufen, weil sie Profite schwinden sehen. Leider sitzen auch einige von ihnen im Münchner Stadtrat: So bezeichnet beispielsweise Manuel Pretzl, CSU-Chef im Stadtrat, die “Sozialgerechte Bodennutzung” als “Sargnagel für den Wohnungsbau” (Süddeutsche Zeitung vom 27. September 2023).
Momentan im Sarg liegen allerdings Bauprojekte von Immobilieninvestoren, die nicht anfangen oder nicht weiterbauen oder mit dem Grundstück spekulieren. Meist sind es Bauvorhaben, die bereits genehmigt sind und sich gar nicht an die geltende Sobon halten müssen! Zur gleichen Zeit sieht man bei kommunalen und genossenschaftlichen Baugesellschaften rege Bautätigkeit. Das “Sendlinger Loch”
könnte dabei sein, wenn die Stadt nur wollte.

muk | Artikel aus AufDraht Oktober 2023