Münchner Mindestlohn

Münchens OB Reiter will ab sofort für einen Mindestlohn kämpfen. Zwar ohne Gewerkschaft (er ist aus ver.di ausgetreten), aber zumindest auf Grundlage einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Foto: Sandro Halank, Wikimedia Commons

266.000 werden im Stich gelassen

München ist eine wohlhabende Stadt. Dieses Image mag im Einkommensdurchschnitt stimmen und bestätigt sich vielleicht beim Blick auf Stadtviertel wie Nymphenburg und Solln oder in der Maximilianstraße. Der Münchner Armutsbericht 2022 zeigt aber ein ganz anderes Bild: 266.000, also jeder Sechste Münchner, muss von einem Einkommen unterhalb der Armutsschwelle leben.

So kurz vor der Landtagswahl ist sogar der SPD und den Grünen aufgefallen, dass eine verarmte und vernachlässigte Arbeiterklasse so kurz vor den Landtagswahlen nicht allzu bereitwillig ihr Kreuzchen bei ihnen machen könnte.

Im Verwaltungs- und Personalausschuss wurde daher im Juli gemeinsam mit ihren Juniorpartnern Volt und Rosa Liste gegen die Stimmen von Söders CSU, Aiwangers Freien Wählern und der FDP nebst Bayernpartei ein Antrag beschlossen, der nun für entsprechende Wählerstimmen sorgen soll.

Ein „Münchner Mindestlohn“ von 16 Euro soll eingeführt werden. Was auf den ersten Blick vielleicht wie eine erfolgreiche Erhöhung des geltenden Mindestlohns von 12 Euro aussehen mag, oder wie ein Überbieten der 14-Euro-Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein zahnloser Tiger.

Statt einer gesetzlichen Regelung wird lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung von Münchner Unternehmen gefordert. An einem „Runden Tisch“ soll die Bereitschaft bei Vertreter*innen der Arbeitgeberverbände, freiwillig ihren Beschäftigten mindestens 16 Euro pro Stunde für ihre Arbeit zu bezahlen, gesteigert werden.

Die Landeshauptstadt möchte dabei mit gutem Beispiel voran gehen und ihren Beschäftigten jetzt schon einen Mindestlohn von 16 Euro zugute kommen lassen. Praktischerweise ergaben Recherchen, dass dank des letzten Tarifabschlusses im Öffentlichen Dienstes die Stundenlöhne von gerade einmal acht Beschäftigten bei der LHM unter 16 Euro liegen. Diesen soll jetzt – auf dem „Büroweg“ – eine freiwillige Arbeitsmarktzulage gezahlt werden. Bis Februar nächsten Jahres lässt sich die Landeshauptstadt diese Aufstockung stolze 3.925 Euro kosten, danach sinkt der Betrag durch weitere Tariferhöhungen ab März deutlich. Die Kolleginnen und Kollegen in kommunalen Unternehmen wie der SWM, der Münchenklinik oder der Müllabfuhr (AWM) bekommen nichts.

Bei so vorbildlichem Verhalten der LHM werden sicherlich die Unternehmer in München schnellstmöglichst eine freiwillige Selbstverpflichtung eingehen. Sollte das wider Erwarten nicht fruchten, wurde selbstverständlich vorgesorgt: Bei städtischen Ausschreibungen von Reinigungs- und Bewachungsaufträgen solle dann ein „Zuschlagskriterium“ eingeführt werden. Unternehmen, die über 16 Euro pro Stunde zahlen, sollen damit bei städtischen Vergaben bevorzugt werden. Allerdings ist das nur eines unter vielen Kriterien und muss nicht zwingend erfüllt werden, um einen Auftrag zu erhalten. Den Zuschlag erhält weiterhin – nach Abwägung aller Kriterien – das billigste Angebot, das wahrscheinlich genau aufgrund von Niedriglöhnen das Günstigste ist.

SPD und Grüne behaupten steif, mehr sei aufgrund eines fehlenden Gesetzes zur Tariftreue im Freistaat Bayern einfach nicht möglich und ein verpflichtender Mindestlohn sei nur durch den Freistaat Bayern erreichbar. Wer sich im Kapitalismus bequem eingerichtet hat, findet sicher immer irgendwo eine Vorschrift, die die eigene Bequemlichkeit unterstützt. Dabei wäre es möglich, mit Unterstützung von 266.000 Münchnerinnen und Münchnern und ihren Gewerkschaften einen Münchner Mindestlohn auch gegen vermeintliche Widerstände durchzusetzen. Das einzige, das es dazu braucht, ist Rückgrat.

TT | Artikel aus AufDraht September 2023